Ich bin wieder schwanger. Im Frühjahr 2016 erwarten mein Mann und ich unser drittes Kind. Wir freuen uns sehr.

Unser Baby soll zu Hause zur Welt kommen, wie seine beiden großen Schwestern, das ist uns sehr wichtig. Denn die Hausgeburten  unserer Töchter bedeuteten für uns bereits zwei Mal einen Start ins Familienleben, wie wir ihn uns sicherer und schöner nicht hätten erträumen können.

Ich bin froh, eine Hebamme gefunden zu haben, die mich bei uns zu Hause durch die Schwangerschaft und Geburt  begleiten will. Das ist keine Selbstverständlichkeit. Weil ich das weiß, habe ich mich bereits sehr früh um meine Hausgeburtshebamme gekümmert – in der fünften Schwangerschaftswoche. So, und nur so, konnte ich mir gerade noch ihre Begleitung sichern.

Dass es um die Hausgeburtshilfe nicht gut steht, ist seit Jahren bekannt. Als Journalistin gehört es zu meinem täglich Brot, die stetig bedrohlicher formulierten Presseerklärungen der Hebammenverbände und Elterninitiativen zu lesen. In den vergangenen Monaten habe ich immer wieder Artikel über den fortschreitenden Verlust der flächendeckenden Hebammenversorgung geschrieben, habe gewarnt, gemahnt, zum Protest aufgefordert. Ich war auf Eltern-Demonstrationen, Kongressen und bei der Bundesfamilienministerin, um mich für unser aller Recht auf Wahlfreiheit in der Geburtshilfe stark zu machen.

Doch bei allem Einsatz hatte ich eine gewisse professionelle Distanz zu den besorgniserregenden Entwicklungen. Ich hatte meine Kinder ja schon geboren. Meine Hausgeburten konnte mir niemand mehr nehmen. Diese Distanz hat mir bei meiner Arbeit geholfen. Sie war wichtig und notwendig, um fair berichten zu können, ohne mich von meinen eigenen Gefühlen zu Unsachlichkeiten hinreißen zu lassen.

Und nun? Die Pressemitteilungen zur Entscheidung der Schiedsstelle im Konflikt zwischen den Hebammenverbänden und dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen las ich mit der Hand auf meinem Bauch, als seien sie persönliche Botschaften ganz direkt an mich: Hiermit teilen wir Ihnen mit, wo und wie Sie Ihr Kind zur Welt bringen können und ob Sie sich Ihre geplante Hausgeburt in die Haare schmieren können.

„Ich hatte das Glück, noch eine Hausgeburtshebamme zu finden. Selbstverständlich ist das nicht.“

Allein: Sie beantworteten diese Frage nicht, stattdessen warfen sie nur neue auf. Während der Deutsche Hebammenverband vom „Aus für die Hausgeburt“ sprach (bei diesen Worten blieb mir fast das Herz stehen!) feierte der GKV-SV die „Rettung der außerklinischen Geburtshilfe“. Während sich auf meiner Facebook-Timeline die in atemloser Panik verbreiteten Schreckensmeldungen überschlugen, wie die Entscheidung der Schiedsstelle die außerklinische Geburtshilfe zerstören und das Kinderkriegen zu Hause unmöglich machen würde, suchte ich verzweifelt im Internet nach dem Original-Schiedsspruch – um festzustellen, dass der noch gar nicht veröffentlicht worden war.

Das war der Moment, in dem mir plötzlich ein Satz meiner Hebamme wieder einfiel, der wie ein Leitspruch über den Schwangerschaften und Geburten unserer Kinder gestanden hatte. „Im Zweifelsfall immer erstmal Ruhe bewahren“. Diese Botschaft war für mich schon so manches Mal wie ein Bollwerk gegen die Angst.

Ruhe bewahren.
Durchatmen.
Nicht gleich vom Schlimmsten ausgehen.

Wie oft schon hatte mich dieser Satz beschützt: Vor dem Eifer der Ärztin, die bei einsetzenden Blutungen in der Frühschwangerschaft gleich von Fehlgeburt und Ausschabung sprach, anstatt mich darin zu bestärken, dass auch noch alles gut ausgehen könnte (was es zum Glück schließlich tat). Im Umgang mit jener Frauenärztin, die meine Entscheidung unser erstes Kind zu Hause bekommen zu wollen als verantwortungslos bezeichnete. Gegen all die Vorwürfe, mein Bedürfnis nach Selbstverwirklichung über das Leben meines Kindes zu stellen.

Ruhe zu bewahren war für mich also immer ein guter Rat, ein echter Hebammen-Rat.

Und nun sind es ausgerechnet die Pressemitteilungen des Deutschen Hebammenverbands, die in mir echte Panik hochsteigen lassen. Kann mir im Frühjahr tatsächlich ein Arzt drei Tage nach Entbindungstermin verbieten, mein Baby zu Hause zur Welt zu bringen?  Muss meine Frauenärztin tatsächlich dafür haften, wenn sie mir eine Hausgeburt erlaubt und dann etwas passiert? Diese Angst in mir wird genährt, wenn ich in einer Pressemitteilung des Deutschen Hebammenverbands lese:

„Die Regelungen der Schiedsstelle bedeuten, dass ohne ärztliche Zustimmung zur Hausgeburt bei sogenannten relativen Ausschlusskriterien sowie immer bei absoluten Ausschlusskriterien eine Hebamme, die eine Hausgeburt durchführt, gegen den Vertrag mit den gesetzlichen Krankenkassen verstößt. In der Folge kann sie vom Vertrag ausgeschlossen werden. Gesetzlich versicherte Frauen erhalten damit in diesen Fällen keine Hebammenbetreuung auf Kosten der Krankenkasse.“
(Quelle)

In der Presseerklärung des GKV-Spitzenverbands hingegen lese ich dann:

„Analog zu den Qualitätskriterien in Geburtshäusern gelten ab sofort grundsätzlich dieselben Kriterien auch für Hausgeburten. Dabei wird unterschieden in absolute und in relative Kriterien: (…)

Unklarer Geburtstermin, Verdacht auf Übertragung. Hier muss erst ab dem 3. Tag nach der 40. Schwangerschaftswoche zusätzlich eine ärztliche Untersuchung erfolgen. Bei geplanten Geburtshausgeburten ist dies bereits ab dem 1. Tag des Überschreitens verpflichtend“.
(Quelle)

Eine zusätzliche ärztliche Untersuchung an ET plus 3 – toll finde ich das nicht. Aber wenn ansonsten die Kriterien für Geburtshausgeburten angelegt werden, die bereits seit vielen Jahren gelten, beruhigt mich das: Viele meiner Freundinnen haben auch weit nach ET plus 3 ihre Kinder problemlos im Geburtshaus bekommen dürfen, und von einer Verweigerung der Kostenübernahme, wenn sich die Frauen gegen die ärztliche Untersuchung stellen, habe ich in diesem Zusammenhang noch nie gehört. Im Gegenteil: Wenn es wirklich stimmt, dass die Qualitätskriterien  für Geburtshausgeburten nun auch analog für Hausgeburten übernommen werden sollen, ist das eine gute Nachricht. Denn in diesem Kriterienkatalog ist explizit festgehalten, dass bei der Entscheidung über den Geburtsort auch nach Überschreiten des errechneten Geburtstermins Wünsche der Frauen zu berücksichtigen seien. So steht es in Paragraph 9 des Kriterienkatalogs:

„Die Wünsche der Versicherten sind bei der Entscheidungsfindung einzubeziehen sowie die Patientenrechte zu wahren. […] Qualität wird in erster Linie durch die Betreuungsformen und -inhalte bestimmt, sie kann nicht allein durch Ausschlusskriterien garantiert werden. Der folgende Kriterienkatalog gibt eine Orientierungshilfe in Richtung auf ein Versorgungskonzept…“
(Quelle)

Mich lassen diese widersprüchlichen Informationen verwirrt und verunsichert zurück. Wenn es wirklich „nur“ um eine Angleichung der Qualitätssicherungskriterien von Geburtshausgeburt und Hausgeburt geht – warum nimmt der Deutsche Hebammenverband dann in Kauf, dass sich jetzt gerade hunderte Schwangere völlig verrückt machen aus Angst um ihre geplante Hausgeburt? Und wenn die Hausgeburtshilfe tatsächlich kurz vor dem faktischen Aus steht – warum ist das entsprechende Papier, das diese Annahme bestätigt, dann nirgendwo aufzutreiben?

„Ich versuche, weiterhin guter Hoffnung zu sein. Was bleibt mir auch anders übrig?“

Damit mich keiner missversteht: Ich stand und stehe an der Seite aller Hebammen, die für ihre Rechte kämpfen. Vor allem aber stehe ich gerade an der Seite all jener Frauen, die gerade um ihre Geburt bangen – und die, wie mir scheint, in diesem hitzigen Konflikt unter die Räder zu geraten drohen. Ihre Angst ist meine Angst. Und ich kann alle Konfliktparteien und Interessenverbände nur bitten, sie nicht mit Insider-Informationen und unbestätigten Details Angst vor dem zu erwartenden Schiedsspruch zu schüren, bevor dieser öffentlich ist.

Denn Angst ist niemals ein guter Berater, erst recht nicht für werdende Mütter.

Und so versuche ich auch inmitten dieses Wirbelsturms den Rat meiner Hebamme zu beherzigen.

Ruhig bleiben.
Atmen.
Nicht gleich mit dem Schlimmsten rechnen.

Ich spreche mit meiner Hebamme. Meiner Ärztin. Meinem Mann. Meinem Baby im Bauch. Mache Pläne, und Alternativpläne für den Fall eines Falles.

Und versuche gleichzeitig, das Vertrauen nicht zu verlieren in die Wahlfreiheit, die mir als schwangerer Frau trotz allem nach wie vor vor dem Gesetz zusteht.
Und weiter darauf zu hoffen, dass ich auch mein drittes Baby wie geplant zu Hause zur Welt bringen kann.

Denn schwanger sein, das hieß doch immer schon: Guter Hoffnung sein. Allen Widerständen zum Trotz.

 

Nachtrag: Ich bin nicht die Einzige, die die verwirrende Informationslage rund um den ausstehenden Schiedsspruch irritiert. Unter dem Titel „Sekt oder Selters?“ beschreiben auch die Online-Petenten der Elterninitiative Mother-Hood e.V. ihre Verwirrung angesichts zweier „völlig verschiedene Wahrnehmungen“ der Situation durch den GKV-SV auf der einen und dem Hebammenverband auf der anderen Seite und fordern dazu auf, unter dem Hashtag #SektSelters zu twittern, an welches Ergebnis des Schieddstellenspruchs Ihr persönlich glaubt.