Das neue Schuljahr beginnt, und wie in jedem Jahr zu dieser Zeit häufen sich die Berichte über ein großes Übel vor deutschen Schulen: Die so genannten Elterntaxis, Mütter und Väter also, die ihre Kinder mit dem Auto zur Schule bringen. Und das, da sind sich von der Verkehrspolizistin bis zur Entwicklungypsychologin alle einig, geht ja wohl gar nicht. Man denke nur mal an die Umwelt! Die Selbstständgkeitsentwicklung! Der Bewegungsmangel! Die Unfallgefahr!
Ich will die Stichhaltigkeit dieser Gründe gar nicht leugnen. Natürlich ist es besser für die Umwelt, zu Fuß zu gehen, mit dem Rad zu fahren oder öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen, als ins Auto zu steigen. Selbstverständlich ist es toll für die Selbstständigkeitsentwicklung, wenn Kinder die Erfahrung machen, in einer kleinen Gruppe von Freunden das Wegstück von zu Hause bis zum Schultor allein bewältigen zu können. Klar ist Bewegung an der frischen Luft gesund. Und natürlich ist es wichtig, dass Kinder auf dem Schulweg nicht durch rücksichtslose Autofahrer gefährdet werden.
Doch all diese Gründe erklären nicht, warum alle Jahre wieder eine Welle der Empörung und der vorwurfsvollen Anklage gegenüber Eltern durchs Land rollt, die ihre Kinder trotzdem mit dem Auto zur Schule fahren. Aufgebrachte Mütter und Väter bestätigen sich gegenseitig darin, dass das ja nun wirklich der Gipfel des Helikopterelterntums sei, und verweisen stolz auf den eigenen Nachwuchs, der seit der ersten Klasse brav zu Fuß zur Schule geht. Und was wir hinkriegen, das können andere doch wohl genauso schaffen – so der Impetus.
Allein: So einfach ist es nicht. Als Mutter zweier Schulkinder, die aufgrund verschiedener Umzüge und anderer besonderer Umstände insgesamt bereits fünf verschiedene Schulen besucht haben, weiß ich aus eigener Erfahrung: Die Theorie vom fröhlichen Schulkind, das jeden Tag mit wippendem Schulranzen auf dem Rücken im Kreis seiner Freunde in Richtung Schule marschiert, ist das eine. Die Realität ist oft eine andere. In den sechs Jahren, die ich nun schon mindestens ein Schulkind habe, habe ich nämlich wirklich alles durch: Gemeinsam zur Schule laufen. Allein zur Schule gehen lassen. Mit Freunden zur Schule schicken. Zur Schule fahren. Mit dem Taxi zur Schule schicken. U-Bahn fahren. Gemeinsam mit dem Rad fahren. Alleine mit dem Rad fahren lassen.
Momentan bin ich die die Mutter, deren eines Kind jeden Tag allein mit dem Rad zur Schule fährt. Und die Mama, die jeden Tag Elterntaxi spielt. Ich kenne sie also aus eigener Erfahrung: die positiven Rückmeldungen zu meinem selbstständigen, umweltfreundlichen Kind, das „wir wir früher“ allein zur Schule kommt. Und die hochgezogenen Augenbrauen, die abschätzigen Blicke, die kritischen Nachfragen angesichts der Tatsache, dass ich jeden Tag eine knappe Stunde im Auto verbringe, um zur Schule und wieder zurück zu fahren.
Und aus dieser Erfahrung heraus möchte ich zu bedenken geben: Es gibt viele gute Gründe, die gegen das Elterntaxi-Dasein sprechen. Und doch hat meiner Erfahrung nach jede Familie, die sich trotzdem dafür entscheidet, ihr Kind mit dem Auto zur Schule zu bringen, einen guten Grund dafür. Auch wenn der von außen nicht immer erkennbar sein mag.
Manche Eltern müssen mehrere Kinder an verschiedene Orte bringen, bevor sie selbst zur Arbeit gehen, und schaffen es nicht, all diese Wege zu Fuß oder mit dem Rad zu bewältigen.
Manche Kinder leiden unter Schulangst, und ein Moment der Ruhe mit Mama oder Papa im Auto hilft ihnen, Kraft und Mut für den Tag zu sammeln.
Es gibt Kinder, für die sind die zehn Minuten im Auto morgens die einzige Wachzeit unter der Woche, die sie mit ihrem Papa verbringen.
Manche Kinder haben einen langen Schulweg, weil sie nicht die Regelschule ums Eck besuchen, sondern eine andere Schule, die ihre Eltern meist aus sehr guten Gründen für sie ausgewählt haben.
Manche Eltern fahren jeden Tag 60 Kilometer einfache Strecke über die Autobahn, um ihr Kind zu der einzigen Schule in der Umgebung zu bringen, an der ihr Kind sein darf wie es ist.
Manche Kinder wohnen so weit ab vom Schuss, dass sie wirklich nur mit dem Auto zur nächstgelegenen Grundschule kommen. (So ein Kind war übrigens ich – ein ganz so neues Phänomen sind Elterntaxidienste also auch nicht!)
Meine Erfahrung ist: Anders als oft behauptet wird, entscheiden sich die wenigsten Eltern aus Bequemlichkeit dazu, ihr Kind mit dem Auto zur Schule zu bringen. Fast immer stehen andere Gründe dahinter, und darüber zu urteilen, steht niemandem zu.
Trotzdem ist es natürlich sinnvoll, den Verkehr vor Schulen so zu regeln, dass zu Fuß oder mit dem Rad zur Schule gehende Kinder nicht durch Fahrzeuge gefährdet werden, und Eltern ohne jeden Vorwurf Alternativen zum Autofahren aufzuzeigen.
Doch die Selbstbeweihräucherung von Eltern, deren Kinder zu Fuß zur Schule gehen, und die Vorverurteilung der Eltern, die ihre Kinder warum auch immer mit dem Auto bringen – die muss bitte aufhören.
14 Comments on "Lasst die Elterntaxis in Ruhe!"
Martina von Jolinas Welt
13/09/2017Als Mutter auch von 2 Schulkindern und auch schon seit 6 Jahren in dem Geschäft denke ich, dass du sicher für dich gute gründe hast und die angegriffen fühlst.
Warum ziehst du dir diesen Schuh an?
Ich habe mein Kind auch schon zur Schule gefahren, da der Zug nicht fuhr, weil ein Pferd auf den Gleisen lag und der letzte Bus weg war, ich hab mein Kind auch schon an der schule rausgeschmissen, weil ich noch etwas zu erledigen hatte. Darum geht es aber nicht.
Ich kenne sie, die Eltern die ihr Kind nicht laufen lassen, weil sie denken der böse Mann lauert an der Ecke.
Ich kenne die Mütter die durch die 30er Zone rasen um ihr Kind, wie immer zu spät zur schule zu bringen, weil sie es selbst nicht gebacken bekommt rechtzeitig aufzustehen.
Und ich kenne die kinder die einfach zu faul sind mal ein paar Straßen weit zur Schule zu laufen und deshalb gefahren werden, übrigens würde gerade denen die ich kenne laufen gut tun.
Es mag Eltern mit guten Gründen geben, doch die meisten könnten es locker sein lassen, ich kann dir sogar ihre Namen und Adressen nennen und genau diese Nasen gefährden jeden Morgen die anderen Schulkinder und blockieren Bushaltestellen usw.
Ich selbst bin übrigens 8 Jahr lang mit meinem Vater in die Stadt zur Schule gefahren, weil er einfach den gleichen weg hatte und zur gleichen Zet und aus unserem Kaff der Bus eine Stunde früher fuhr. Ich habe die anderen um ihre Busgeschichten und die Gemeinschaft immer beneidet
Nora Imlau
18/10/2017Ich persönlich fühle mich überhaupt nicht angegriffen. Aber ich kenne viele, die so empfinden. Deshalb der Text.
Anonymous
14/09/2017Im Prinzip gebe ich dir recht, grundsätzlich darf man allen Eltern gerne öfter auch mal zutrauen dass sie ihre Entscheidungen bezüglich ihrer Kinder mit gutem Grund treffen.. Und dazu zählt eben auch der Schulweg.
Was mich als Lehrerin aber sehr gestört hat, sind die Eltern, die ihre Kinder nicht nur mit dem Auto in die Schule fahren sondern dann auch aussteigen um ihr Kind auch in der vierten Klasse noch bis zum Klassenzimmer zu bringen. Das ist meiner Meinung nach nun wirklich nicht notwendig und tatsächlich auch nicht sehr förderlich bei der selbstständigkeitsentwicklung..
Herzliche Grüße!
Anonymous
15/09/2017Liebe Nora,
ich mag deine kritischen Auseinandersetzungen und Denkanstöße sehr und nehme auch gern etwas davon mit. Ich möchte nur auch zu bedenken geben, dass es sicherlich immer Gründe geben wird. Manche davon sind aus meiner Sicht selbst gemacht. Wir haben unser Auto verkauft, nehmen "Umstände" in Kauf oder sharen. Ich möchte dafür gar nicht gelobt werden, sondern denke einfach an die Zukunft der Kinder und hoffe inständig, dass es nützlich ist. Es ist sicher auf dem Dorf nicht vermeidbar, aber in der Stadt unnötig. Jeder kann auch hier einen seiner Gründe aufgeben und auf das Auto verzichten, um nachhaltiger zu leben. Ich verstehe deine Argumentation zu sagen, es sei doch jedem selbst überlassen, aber meinst du, so funktioniert die Zukunft, wenn einfach jeder das macht, was zu ihm passt? Herzliche Grüßen und die Idee mit dem bobbycar ist doch auch toll;) Anne
Nora Imlau
18/10/2017Ich glaube tatsächlich, dass Zukunft nur funktioniert, wenn jeder das macht, wovon er überzeugt ist und was er für richtig halt (natürlich innerhalb des gesetzlichen Rahmens). Liebe Grüße!
Susanne Bregenzer
14/01/2018Liebe Nora!
danke für diesen Artikel, der dieses Bashing beendet. Ich kann es sowieso nicht leiden, wenn Eltern sich gegenseitig vorhalten, wie schlecht sie ihre Kinder behandeln: dabei geht es dabei um winzige Lächerlichkeiten: Schulweg laufen oder nicht! Darüber kann man sich dann stundenlang den Mund zerreißen. Oder man lässt es.
Wir laufen tatsächlich in die Schule: ein wahnsinns Privileg das ich jeden Tag genieße, denn wir sind extra umgezogen, um keinen ewig weiten Schulweg zu haben. Mein Kind ist seit diesem September dort. Das letzte Stück vom Kiga bis zu seiner Klasse könnte er locker allein gehen. Hat er auch schon. Aber jetzt sagt er: "Mama, geh doch noch mit bis zur Schultür, bitte!"
Bis dahin ist er noch kleines Kind. Dann strafft er sich merklich, macht ein besonders "cooles" Gesicht und auf "in den Kampf". Soll ich ihm jetzt einen Vortrag über Selbständigkeit halten, damit er die paar Meter von Kiga zur Schule allein geht? Wieso soll er dabei nicht noch meine Gesellschaft genießen? Er ist sowieso so ein Einzel"kämpfer" und sehr selbständig. Macht sich das wirklich am Schulweg fest?
liebe Grüße
Susanne Bregenzer
Rita
02/09/2018Für die Nachbarinnen und Nachbarn ist es einfach unendlich nervig. Ich wohne neben einer Einrichtung, die nachmittags verschiedene Angebote für Kinder (Sprach- und Religionsunterricht) anbietet, und leider wird ein Großteil der Kinder mit dem Auto gebracht und abgeholt. Es ist mir echt egal, was genau die Gründe der verschiedenen Eltern dafür sind - ich muss mir an fast jedem einzelnen Tag das besch*** Gehupe von irgendwelchen blöden Autofahrerinnen und -fahrern anhören, die irgendwie nicht lernen, dass sie dadurch auch nicht schneller durch unsere kleine Straße kommen. Unsere kleine Straße, die übrigens extrem gut an den ÖPNV angebunden ist. Abgesehen davon, dass man auch einfach die Kinder ein oder zwei Ecken weiter aus dem Auto lassen könnte.
Marie
23/08/2022Man könnte meinen, du wohnst in der gleichen Straße wie ich :-)
Das ständige Gehupe, was im Übrigen in der Form nicht nur eine Lärmbelästigung sondern vor allem eine Ordnungswidrigkeit darstellt, mit überhöhter Geschwindigkeit durch die Straße brettern, abenteuerliche Wendemanöver, Falschparken bis zum Erbrechen inklusive sich dann auch noch von eben jenen Personen verbal anmachen lassen zu dürfen, wenn sie zwar vollständig in/vor unserem Hauseingang & Einfahrt stehen (mit deutlich sichtbarem Schilderhinweis: Feuerwehrzufahrt) aber man ja "nur" mit einem Fahrrad nicht an Ihnen vorbeikommt. Es gab vor langer Zeit mal Grünstreifen am Gehweg auf beiden Straßenseiten. Natürlich wurden Poller aufgestellt. Das hat aber auch diese Eltern nicht davon abgehalten regelmäßig durch die Absperrung zu manövrieren, den Grünstreifen damit dauerhaft zu einem kaputten Sandstreifen zu modifizieren, nur um direkt vor dem Schuleingang parken zu können und somit auch noch teilweise den eh schon schmalen Gehweg zu blockieren.
Auch diese Schule+Kita sind wirklich gut an ÖPNV angebunden, an sich eine wirklich ruhige Gegend und Straße für Fußgänger und Radfahrer - wären da halt nur nicht die Kamikaze-Eltern.
Natalie
18/09/2018Danke für diesen Artikel! Jetzt mit Beginn des neuen Schuljahres wird ja gerade wieder sehr fleißig auf die Eltern eingedroschen- ich sehe das genau wie du- es gibt Gründe, wenn man sein Kind fährt, ob berechtigt oder nicht.....wer entscheidet das? Und ist es ehrlich die einzige Gelegenheit sich zu bewegen, draußen zu sein, Freunde zu treffen? Wer von den ganzen Elternbashern läuft morgens zur Arbeit? Ist doch so gesund...... (die Lehrer übrigens auch zum Großteil nicht)
Anonym
20/05/2019@Susanne Bregenzer:
.... dann sagt man einfach mal "Nein" wenn das Kind möchte, dass man es noch bis zur Klasse "eskortiert". Ganz einfach! Auch das muß ein Kind lernen!
Das Kind ist dann ein Schulkind und muss lernen, alleine zur Schule zu gehen. Die Helikoptereltern sollten mal daran denken, dass ein so verhätscheltes Kind von seinen Mitschülern gehänselt, ja vielleicht sogar gemobbt wird, wenn Mama / Papa mit ihm am Händchen in die Klasse gehen. Das ist nämlich nicht normal!
In einem Kommentar weiter oben schrieb jemand, er / sie wären sogar wegen des Schulwegs des Kindes umgezogen. Ganz ehrlich? Ist absolut nicht glaubwürdig. Ebenso der Schulweg in eine 60 km entfernt liegende Schule. Es gibt Regelschulen, die in der Nähe des Wohnorts liegen. Normale Kinder gehen in diese. Dann gibts halt kein Waldorf und kein Montessori - aber später einen anerkannten Schulabschluss. Und nur der öffnet dem Kind später die Chance in einen ordentlichen Beruf. Namen klatschen eher nicht.
Nina
28/08/2019Ob man mit Auto, Fahrrad oder zu Fuß den Schulweg zurück legt, darf von mir aus jeder selbst entscheiden. Gibt bestimmt immer wichtige Gründe dafür oder dagegen.
Aber die Autofahrer sind nunmal die einzige Gruppe, bei denen Rücksichtslosigkeit unmittelbar andere Kinder gefährdet und da liegt für mich eine klare Grenze.
Wer nämlich hektisch rechts ranfährt um den eigenen Nachwuchs aussteigen zu lassen, natürlich soll dabei die Luftlinie zwischen Autotür und Schuleingang so kurz wie nur irgend möglich sein, dabei dann aber ein anderes Kind, welches mit dem Fahrrad auf der Straße fährt, völlig übersieht und fast umfährt.
Oder mit dem Auto gleich AUF das Schulgelände fährt, um auch noch die letzten beschwerlichen 10m von der Straße bis zum Schuleingang dem Nachwuchs zu ersparen.
Tut mir leid, da hört bei mir jedes Verständnis auf und es sind meiner Meinung nach diese Eltern, die sich angesprochen fühlen müssen.
Beide Beispiele übrigens nicht frei erfunden sondern genau so erlebt.
Gertrud
15/10/2020Es gibt keinen, ich wiederhole, keinen Grund, sein Kind, so denn es gesund und nicht geh- oder sonstwie behindert ist, bis zum Schulhof zu fahren, man kann immer - und ich wiederhole es wieder, immer ein paar Strassenzüge weiter weg anhalten und die paar Schritte zur Schule laufen. Elterntaxis vor Schulen gehören grundsätzlich verboten, Gejammere hierüber stossen bei mir auf taube Ohren, denn ein paar Meter zu laufen schafft jedes gesunde Kind, auch ein Erstklässler.
Katrin Müller
01/09/2022Der Artikel ist schon etwas älter. Mein Sohn ist gerade zur Schule gekommen, die kann er fußläufig erreichen und er will und wollte recht schnell selbstständig hin- und zurück gehen und hat von mir auch Schlüssel bekommen.
Grundsätzlich habe ich nichts dagegen, wenn Ektern ihre Kinder zur Schule fahren. Was mich als Anwohner*,in stört und was das eigentliche Problem ist: Die Anwohber*innen- Parkplätze werden direkt vor der Schule zugeparkt, Autos parken so, dass ich nicht in meinen Parkplatz einparken kann, wenn ich aus dem Büro komme und wenn ich bitte, wegzulassen, werde ich noch mit Kopfschütteln und Unverständnis bedacht, ich, also ich, die ich da wohne und dort für mich als Mieter*in Parkplätze ausgeschildert sind, solle doch weiter weg parken. Die meisten Mamas und Papas stehen dann auch gerne mit ihren Kindern da und quatschen eine Runde. Das sind Ordnungswidrigkeiten, die begangen werden, damit die Kinder keine 5 Meter weit laufen müssen und die Eltern ihre sozialen Kontakte vor der Schule pflegen können.