„Babyflitterwochen“ – so heißt das erste Kapitel meines Buches. Ein wichtiges Thema darin: Wie Bindung entsteht. Das ist natrürlich ein Mammut-Thema, mit dem man alleine ein ganzes Buch füllen könnte. Und hier lest Ihr meinen Versuch, den aktuellen Stand der Bindungsforschung auf Crashkurs-Format runterzubrechen:
Bonding und Bindung
Jedes Baby kommt mit einem angeborenen Grundbedürfnis nach Bindung zur Welt. Um sich gesund entwickeln zu können, braucht es also mindestens einen Menschen, zu dem es eine enge emotionale Beziehung aufbauen kann. Neuste wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass Babys im ersten Lebensjahr bereits zu bis zu fünf Bezugspersonen so eine eigenständige, tragfähige Bindung aufbauen können.
Jedes Baby wird mit einem Bedürfnis nach Bindung geboren.
Babys können gar nicht anders, als sich an die Menschen, die sie versorgen, zu binden. Bei Erwachsenen sieht das anders aus: Das Bonding, also das Annehmen und Erwidern des kindlichen Bindungsbedürfnisses, ist bei ihnen ein Prozess, der Ruhe, Zeit und gute Rahmenbedingungen braucht – und bei dem es echte Schwierigkeiten geben kann.
Den Erkenntnissen der Bindungsforschung zufolge gibt es sieben Zutaten, die sich auf das Bonding besonders positiv auswirken:
– Eine natürliche Geburt. Denn: Dabei schüttet der Körper der Mutter einen regelrechten Cocktail euphorisierender Substanzen aus, die nicht nur schmerzlindernd wirken, sondern regelrecht high machen können. Sehen Mütter ihr Baby in diesem Hormonrausch zum ersten Mal, beschreiben sie oft, von Mutterliebe geradezu überschwemmt worden zu sein.
– Die erste ungestörte Stunde. Denn: In den ersten ein bis zwei Stunden nach der Geburt ist das Neugeborene in einem Zustand „konzentrierter Wachheit“, wie Bindungsforscher sagen. Es guckt, schnüffelt, schmiegt sich an. Können Eltern diese erste Stunde mit ihrem Baby ungestört verbringen, empfinden sie ihr Kind nachweislich im gesamten Babyjahr als pflegeleichter und unkomplizierter – auch wenn es sich objektiv nicht anders verhält als andere Babys. Deshalb: Ruhig darum bitten, die U1 auf dem Bauch der Mutter liegend durchzuführen und alle anderen Untersuchungen inklusive Wiegen und Messen auf später zu verschieben.
– Stillen. Denn: Beim Stillen wird der Körper der Mutter ebenso wie unter der Geburt von ganz besonderen Hormonen überflutet. Besonders bemerktenswert: Das als „Liebeshormon“ bekannte Oxytocin. Ein ziemliches Wundermittel, das nicht umsonst auch beim Sex ausgeschüttet wird: Es fördert die enge Bindung zwischen zwei Menschen. Und es macht Lust, eigene Bedürfnisse hintenan zu stellen, ganz für einen anderen Menschen dazu sein – und sich dadurch auch noch bereichert zu fühlen.
– Erfahrung mit Babys. Denn: Alle Menschen haben instinktives Wissen zum Umgang mit Babys – geweckt wird das aber nur durch den Umgang mit kleinen Kindern. Studien zeigen: Wer als Kind kleine Geschwister oder als Erwachsener mal das Baby der Freundin auf dem Arm hatte, tut sich mit dem Bonding leichter.
Hormone helfen beim Verlieben – unbedingt notwendig sind sie nicht. Denn anders als bei Tieren ist bei uns Menschen Bindung mehr als Biologie.
– Papa-Hormone. Denn: Auch Väter werden von der Natur auf ihre neue Rolle vorbereitet. So steigt auch bei ihnen während der Schwangerschaft ihrer Partnerin der Spiegel des Hormons Prolaktin, das besonders feinfühlig und fürsorglich macht. Gleichzeitig sinkt der Spiegel des Männlichkeitshormons Testosteron. Je mehr sich Väter nach der Geburt um ihr Baby kümmern, desto mehr steigt der Prolaktin- und sinkt der Testosteron-Spiegel – ideale Bedingungen fürs Bonding.
– Ganz viel Kuscheln. Denn: Körperliche Nähe ist der wichtigste Schlüssel zu tiefer emotionaler Verbundenheit. Denn jeder innige Hautkontakt gibt Eltern die kostbare Gelegenheit, zu erspüren, wie es ihrem Baby geht, und dabei ihre Feinfühligkeit zu trainieren. Damit legen sie den Grundstein dafür, die Bindung zu ihrem Kind in den kommenden Jahren immer weiter zu verfestigen, indem sie die Bedürfnisse ihres Kindes erkennen und angemessen darauf reagieren.
– Glückliche Rahmenbedingungen. Denn: Damit sich Eltern in ihr Baby verlieben können, muss es ihnen gut gehen. Mit sich selbst, miteinander, mit ihrem Umfeld. Ein starkes soziales Netzwerk, das junge Eltern entlastet, ist deshalb die beste Bonding-Hilfe.
Noch was Wichtiges vergessen? Dann lasst es mich bitte wissen! Morgen folgt dann der zweite Teil des Bindungskapitels: Liebe auf den zweiten Blick – wenn Elterngefühle auf sich warten lassen.
9 Comments on "Bindung und Bonding – Wie Eltern sich in ihr Baby verlieben"
Josephine
11/07/2011Hallo Nora,
mir fehlt da noch ein bisschen die 'Entwarnung' für alle mit einem nicht ganz so optimalen Start. Hätte ich diese Buch nach einem Notkaiserschnitt, einem verkorksten Stillstart oder einer Frühgeburt mit langem KH-Aufenthalt in Händen, würde mir der Text wohl eher Angst machen. Denn wenn du von 'Zutaten' schreibst, hört es sich ein bisschen danach an, als würde Kuchen nicht aufgehen, wenn man davon eine weglassen muss ;) Ich würde das, was jeder - unabhängig von Geburtsverlauf und Stillstart - machen kann in den Vordergrund stellen, also eigentlich Punkt 4 bis 7. Und noch ein stärker darauf hinweisen, dass das ein oder andere leider noch nicht im Klinikalltag angekommen ist, man es also wirklich aktiv einfordern muss....
Bei Punkt 7 würde ich noch konkreter werden und Dinge nennen, die Freunde & Familie am Anfang gut tun können. Es gibt ja noch viele Paare, die das vor Geburt als romantische Nur-wir-drei-Zeit betrachten und sich danach von ihrem Umfeld ein wenig allein gelassen fühlen...
Viele Grüße,
Josephine
Nora Imlau
11/07/2011Hallo Josephine,
da sprichst Du einen wichtigen Punkt an. Ich gehe darauf zwar im zweiten Teil des Kapitels ein, aber da geht es dann schon eher wieder darum, was man machen kann, wenn nach einer richtig traumatischen Geburt die Gefühle fürs Baby auf sich warten lassen. Natürlich gibt's aber ja zum Glück auch noch viele Graustufen dazwischen. Also, auch wenn nicht alle "Zutaten" da sind, kann der Kuchen perfekt aufgehen. ;) Da muss ich noch mal ran, da hast Du Recht. Danke für den Hinweis - ich will ja niemanden erschrecken.
Liebe Grüße
Nora
Frauke
11/07/2011Tragen, so oft es geht ; ) Familienbett. In der ersten Zeit (Wochenbett) so oft wie möglich Haut an Haut kuscheln! Nach Bedarf stillen, immer auf Weinen reagieren - immer trösten!
LG Frauke
Nora Imlau
11/07/2011Hallo Frauke,
bei diesem Kapitel habe ich versucht, mich auf die Fakten aus der Bindungsforschung zu beschränken und sie zu trennen von persönlichen Überzeugungen - und es gibt nun mal keine Studie, die belegen würde, dass z.B. Familienbett-Babys sicherer an ihre Eltern gebunden sind als andere. Aber natürlich steht da, dass Körperkontakt bindungsfördernd ist - und den hat man ja sowohl beim Tragen als auch beim gemeinsamen Schlafen im Familienbett. Das "aufs Weinen reagieren" ist auch wichtig - kommt an anderer Stelle noch mal deutlich vor. Hat aber - soweit ich das verstanden habe - nicht so viel mit dem Bonding zu tun, also mit dem Knüpfen der Beziehung zum Kind von der Elternseite her. Es ist eher wichtig dafür, dass das Baby Urvertrauen aufbaut. Das spreche ich an anderer Stelle an. Danke für die Erinnerung.
Liebe Grüße
Nora
Sabine
11/07/2011Liebe Nora,
erst mal wollte ich dir sagen, dass ich dein Buch-Projekt total klasse finde. Ich verfolge schon lange die Entwicklung, bin aber noch nie zum Antworten gekommen.
Deine Punkte erscheinen mir sehr vollständig- mensch, hatten wir eine Bilderbuchgeburt mit allen von dir erwähnten "Zutaten".
Um sicher zu gehen, dass der Bonding-Prozess im Krankenhaus genau so abläuft, wie man es sich erhofft und vorstellt, ist es glaube ich ganz gut, sich genau vorher zu überlegen, was man wie in welcher Situation haben will (z.B., dass der Papa das Kind nach einem Notkaiserschnitt auf den Bauch kriegt, die U1 auf dem Mama-Bauch stattfindet etc.) und dieses dann schriftlich festzuhalten. Sollte etwas blöd laufen, kann man den Zettel einfach der Hebamme in die Hand drücken. Mir hat da eine gewisse "Checkliste" von einer lieben Freundin enorm viel weitergeholen und ein recht sicheres Gefühl im Bauch beschert.
Liebe Grüße von Sabine
P.S.: Papa die Möglichkeit zu geben, nach (und während) der Geburt zu helfen, ist für das Bonding bestimmt sehr wichtig. Bei uns durfte er wickeln, wiegen, messen, anziehen, ... alle Arbeiten, die so anfielen - das hat ihm gut getan, weil er so endlich auch was beitragen konnte.
Nora Imlau
19/07/2011Liebe Sabine,
vielen Dank für Deine Nachricht. Ich freue mich sehr, wenn Du mein Buch-Projekt mitverfolgst - und wenn Du sogar mal Zeit findest, einen Kommentar zu hinterlassen, freut mich das besonders :).
Vielleicht sollte ich den Tipp, einen solchen Geburtsplan zu schreiben, tatsächlich auch noch aufnehmen ... auch wenn das Buch ja eigentlich erst in der Zeit nach der Geburt losgeht, lesen es viele Eltern ja wahrscheinlich auch schon vorher, um sich vorzubereiten.
Und die Papas einzubeziehen ist sowieso eine der Botschaften, die in meinem Buch immer wieder auftauchen, weil man es meiner Ansicht nach fast nicht genug betonen kann, wie viel leichter die erste Zeit mit Baby für alle ist, wenn der Vater von Geburt an genauso ins "Abenteuer Baby" eingebunden ist wie die Mutter.
Liebe Grüße
Nora
Isabell
15/12/2017Hallo Nora,
ich finde deine Beriche super und sie stärken uns so sehr im Umgang mit unserem Sohn. Wir hatten leider keinen guten Start weshalb ich mir immer noch große Vorwürfe mache und mir die Tränen in die Augen schießen wenn ich nur daran denke. Unser Sohn kam drei Wochen zu früh, als Sternengucker, mit einem großen Gebirtsgeschwulst auf die Welt. Er war ziemlich schwach. Renk wenig weshalb er eine starke Gelbsucht entwickelt hat. Die vielen blutabnahme waren eine Tortur für ihn und uns.... Da der Bili nicht runter ging sollten wir ihm Pre Nahrung zufüttern. Nur ganz wenig 20 ml zur Muttermilch. Die ich alle sorgfältig alle drei Stunden abbumpte weil er zu schwach war um Von der Brust zu trinken. Nach 2 Tagen hat er nur noch geschrien und geschrien und geschrien, bis wir die Pre Nahrung absetzten und hofften, dass sich der Bili von alleine reduziert. Was er letzten Endes auch tat. Aber unser Sohn schrie vor Schnerzeb immer weiter. Er hat sich so verkrampft.Keiner konnte uns helfen und es hieß immer es sind die drei Monats Koliken bis wir den Tip bekommen haben eine Stuhlprobe analysieren zu lassen. Über eine Hebamme und Heilpraktikerin kam das ganze dann in Gang und es hat uns soooo sehr geholfen. Er wurde danach wesentlich ruhiger, weinte aber dennoch ziemlich viel bis ich einen Bericht über das weinen als Traumabewältigung las. Ich nahm ihn einfach in die Arme und er weinte sich allen Kummer von der Seele. Danach ging es langsam aufwärts. Er hat immer noch Probleme sich zu regulieren oder zu vertrauen weil ich glaube, dass genau die Bereiche getriggert werden aus denen seine Erfahrungen stammen. Deshalb ist für uns ein Wachstumsschub oder nun das Zahnen sehr anstrengend weil er unheimlich viel weint und nur bei einem sein möchte. Der Weg war unbeschreiblich lange und kräftezehrend aber wenn ich nun in seine strahlenden glücklichen Augeb sehe habe ich das Gefühl doch einiges richtig gemacht zu haben. Könntest du mir vielleicht sagen, was all diese frühen negativen Erfahrungen mit so einem kleinen Wesen machen? Ich glaube dass genau diese Thema noch sehr unterschätzt wird und man wenig bis gar keine Hilfe und Verständnis von außerhalb/Fachstellen bekommt.
Danke für all deine Berichte , sie haben uns die Augen geöffnet und sehr geholfen.
Liebste Grüße Isabell
Nora Imlau
17/12/2017Liebe Isabell, danke für Dein Feedback. Darüber freue ich mich sehr!