Wieder einmal erhitzt ein schlecht recherchierter Artikel die Gemüter und verunsichert Eltern in Bezug auf den babygeleiteten Beikostart. Als Stillberaterin und Fachjournalistin für Familienthemen ist es mir ein Herzensanliegen, mit den in besagtem Artikel verbreiteten Un- und Halbwahrheiten aufzuräumen und Eltern Mut zu machen, beim Beikostststart auf die Signale ihres Babys sowie auf ihren gesunden Menschenverstand zu vertrauen. Dabei helfen hoffentlich die folgenden Hinweise:
1. Menschenbabys haben seit Jahrtausenden rund um den Globus ihr Überleben gesichert, indem sie parallel zum Stillen nach und nach die Lebensmittel der Großen in ihren Speiseplan aufnahmen. Sie sind also evolutionär darauf vorbereitet, ihren Kalorienbedarf nach der Vollstillzeit mit einer Mischung aus Muttermilch und altersangemessener Beikost zu decken. Wie diese Beikost genau aussieht, ist von Kultur zu Kultur verschieden. Weit verbreitet ist eine Kombination aus Breien (in ursprünglichen Kulturen oft von Erwachsenen vorgekauter Speisebrei, in Industrienationen selbst gekochter Babybrei oder Gläschen) und Fingerfood, also Lebensmitteln, die das Baby selbst in die Hand nimmt und zum Mund führt. Prinzipiell sind Babys also sowohl aufs Selbstessen als auch aufs Gefüttertwerden vorbereitet.
2. Baby-led Weaning bedeutet wörtlich ‚Babygesteuertes Abstillen‘. Und dabei geht es nicht um die Frage ‚Brei oder Fingerfood?‘, sondern um die Haltung der Eltern bezüglich des Beikostststarts. Wollen sie zügig Stillmahlzeit für Stillmahlzeit ersetzen, bis keine Muttermilchmahlzeit mehr übrig ist? Das wäre elterngeleitetes Abstillen. Oder wollen die Eltern ihr Baby so lange in den Genuss des Stillens kommen lassen, bis es dem Bedürfnis von selbst entwächst? Dann bietet sich ein Beikostststart an, der den Milchmahlzeiten keine Konkurrenz macht, sondern sie behutsam ergänzt. Und genau darum geht es beim Baby-led Weaning.
Baby-led Weaning und Brei schließen sich nicht aus. Entscheidend ist der Respekt vor der Selbstwirksamkeit des Babys.
3. Wer schnell ganz abstillen will, braucht dafür Mahlzeiten, bei denen schon kleine Babys große Mengen verdrücken können. Solche Mengen sind beim Breifüttern oft schneller zu erreichen als wenn Eltern ihr Baby selbst essen lassen. Deshalb hat es sich in unserer Kultur mit ihren kurzen Stillzeiten (die meisten Mütter stillen maximal ein halbes Jahr) eingebürgert, gefütterte Breimahlzeiten als dringend notwendig zu erachten. Darüber ist in Vergessenheit geraten, dass Babys, die auch im zweiten Lebenshalbjahr und darüber hinaus nach Bedarf gestillt werden, viel weniger Kalorien aus der ergänzenden Beikost beziehen müssen.
4. Babys haben ein angeborenes gesundes Gefühl dafür, wann sie feste Kost brauchen und welche Lebensmittel ihnen in welcher Menge gut tun. So konnte die Ärztin Clara Davis schon vor über 100 Jahren nachweisen, dass Babys angesichts einer Auswahl gesunder, ursprünglicher Lebensmittel sich intuitiv optimal ernähren. Auf diese Kompetenz können Eltern grundsätzlich auch heute vertrauen. Gleichzeitig gilt genau wie beim Stillen nach Bedarf: eine sorgfältige Gewichtskontrolle bei den U-Untersuchungen sowie ein achtsamer Blick auf den Gesamtzustand des Kindes sind wichtig, um mögliche Mangelerscheinungen erkennen zu können.
5. Extremismus und quasi-religiöse Ideologien haben in der Baby-Ernährung nichts zu suchen. Am wichtigsten ist, dass das Kind gut gedeiht und mit allen Nährstoffen versorgt ist, die es für ein gesundes Wachstum braucht. Ist diese Versorgung allein mit Muttermilch nicht zu erreichen, muss vor dem abgeschlossen vierten Lebensmonat mit Pre zugefüttert werden, danach kann auch eine ausgewogene Beikost helfen. Bei Babys mit Untergewicht oder Mangelerscheinungen ist dabei das Füttern von Brei meist dem ausschließlichen Angebot von Fingerfood vorzuziehen.
6. Ein selbstbestimmter Beikoststart hat viele Vorteile: das Baby erlebt sich als kompetent, schult seine Hand-Auge-Koordination und trainiert sein natürliches Sättigungsgefühl. Vor allem aber ist das Baby-led Weaning in Kombination mit dem Stillen nach Bedarf ein ausgesprochen sicherer, respektvoller Weg, Babys an feste Kost heranzuführen.
7. Das deutsche Forschungsinstitut für Kinderernährung steht schon seit vielen Jahren immer wieder in der Kritik, seine Empfehlungen stark an den Interessen der Kinderlebensmittelindustrie zu orientieren. Firmen wie Hipp und Danone gehören zu finanziellen Förderern des Instituts.
8. Die Qualität der Ernährung kleiner Kinder steht und fällt mit der Qualität der Lebensmittel, die sie bekommen. Es ist möglich, Babys mit Breien unausgewogen zu ernähren, und es ist natürlich auch möglich, Babys mit Fingerfood ungesund zu ernähren. Nicht die Art des Beikostststarts ist also für mögliche suboptimale Ernährungsgewohnheiten verantwortlich, sondern die Lebensmittelauswahl. Natürlich ist es gesünder, ein Baby ’nach Plan‘ mit Gemüse- und Getreidebreien zu füttern als es dauerhaft von Milchshakes und Fertigpizza zu ernähren. Umgekehrt sind gedünstete Möhrensticks und Hähnchenbruststreifen auf Dauer gesünder als Schokoladenbrei und Kindermilch.
In diesem Sinne: Lassen Sie sich und Ihrem Baby nicht den Appetit verderben und genießen Sie einen entspannten, genussvollen Beikostststart mit Ihrem Kind – es wird Ihnen schon zeigen, ob es lieber selber essen, gefüttert werden oder eine Kombination aus beidem mag!
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