Heute gibt’s noch einen letzten Auszug aus meinem Schlaf-Kapitel – ich freue mich auf Euer Feedback!

Hintergrund: Wie Schlaflernprogramme funktionieren
Ein fester Plan, mit dem Babys in wenigen Tagen lernen sollen, alleine ein – und durchzuschlafen – das klingt verlockend. Aber was steckt dahinter?
Die Idee, eines standardisierten Schlaftrainings für Babys zu entwickeln, geht auf den Bostoner Kinderarzt und Schlafforscher Dr. Richard Ferber zurück.

Er hatte beobachtet, dass es Eltern gibt, die so unter Schlafmangel leiden, dass sie ihren Babys gegenüber Aggressionen entwickeln, die bis hin zu Mordfantasien reichen. Für diese extremen Fälle entwickelte er einen Notfall-Plan: Ein verhaltenstherapeutisches Programm, durch das Babys extrem schnell dazu gebracht werden können, so zu schlafen, dass es ihren Eltern besser geht.

Dieses Schlaftraining gilt heute als besonders hart, weil es die Zeiten, in denen man das Baby ungetröstet in seinem Bettchen schreien lässt, auf bis zu 45 Minuten ausdehnt. Aber: Es funktionierte.
Daraufhin kam Ferber der Gedanke, dass sein Programm auch für Eltern attraktiv sein könnte, die ihrem Baby gegenüber zwar keine schlimmen Aggressionen fühlen, aber gerne mal wieder einen ruhigen Abend hätten. „Solve you child’s sleep problems“ wurde ein Bestseller und löste weltweit eine Welle von Schlafratgebern aus, die auf demselben Prinzip basierten. Viele Hebammen und Kinderärzte gaben den Tipp, das Baby einfach ohne jegliche Einschlafhelfer ins Bett zu legen und nur alle paar Minuten nach ihm zu sehen, an junge Eltern weiter – froh, endlich ein einfaches Rezept gegen Schlafmangel zu kennen.
Doch viele Kinderärzte, Psychologen, Pädagogen und Hirnforscher warnen davor, Schlaflernprogramme unkritisch anzuwenden. Ihre Gründe:


1. Die Methode bedeutet für Babys großen Schmerz. Gerade weil Eltern heute so liebevoll mit ihren Kindern umgehen, ist es für ein Baby ein unverständlicher Schock, wenn nachts plötzlich keiner auf sein Weinen reagiert. Ob die Wiederkehr der Eltern in festen Abständen dem Kind hilft, den Schmerz zu lindern, wird von vielen Experten bezweifelt – schließlich haben Kinder bis ins dritte Lebensjahr hinein kein Zeitgefühl. Und das heißt: Wer alleine weint, tut das schon seit einer gefühlten Ewigkeit.


2. Babys lernen nicht zu schlafen, sondern aufzugeben. Der Begriff „Schlaflernprogramm“ suggeriert, das Baby erhalte dadurch die Chance, Kompetenz in Sachen Schlaf zu erlangen und das Gelernte dann anzuwenden. Dabei ist längst nachgewiesen: Furcht und Verzweiflung, wie sie ein Kind beim „kontrollierten Schreienlassen“ erlebt, lähmt alle Strukturen im kindlichen Gehirn, die fürs Lernen verantwortlich sind. Das Baby entwickelt also keine neuen Fähigkeiten, sondern wird schlicht darauf konditioniert, dass sein Schreien nicht gehört wird. Dass es schließlich aufhört zu weinen, bedeutet: Es hat resigniert.


3. Schlaflernprogramme sind schädlich für die Entwicklung. Dank moderner Hirnforschung ist es heutzutage möglich, nachzuweisen, was beim „kontrollierten Schreienlassen“ im Gehirn eines Babys passiert: In dem Moment, in dem das Baby allein gelassen wird, springt die Amygdala, der „Gefahrendetektor im Gehirn“, an: Das Baby beginnt zu weinen. Wird es nun prompt und kontinuierlich getröstet, sinkt der Pegel des Stresshormons Cortisol schnell wieder auf Normalmaß. Verantwortlich dafür ist der für die Selbstregulation zuständige Vagusnerv im Gehirnstamm. Erfährt ein Baby immer wieder sofortigen Trost, „lernt“ der Vagusnerv, Angstzustände zu überwinden.
Wird ein weinendes Kind aber sich selbst überlassen, wächst seine Fähigkeit zur Selbstregulation nicht. Dafür schnellt der Cortisolspiegel in die Höhe, das Gehirn wird geradezu von Stresshormonen überschwemmt, die seine empfindlichen Strukturen dauerhaft schädigen können. Trennungsängste und Panikattacken sowie Suchterkrankungen im Erwachsenenalter können die Folge sein.


Konkret heißt das: Schlaflernprogramme funktionieren – aber der Preis ist so hoch, dass sie das Notfall-Instrument bleiben sollten, als das sie ursprünglich entwickelt wurden.