Schon seit vielen Jahren engagiere ich mich an der Seite von Roses Revolution Deutschland gegen Gewalt in der Geburtshilfe und mache mich dafür stark, dass Frauen ihre schlimmen Erfahrungen unter der Geburt teilen und verarbeiten können.

Immer wieder erreichen mich dazu Nachrichten von Menschen, die den Sinn eines solchen Tages anzweifeln, an dem die Opfer solcher Gewalt gemeinsam Rosen vor den Türen jener Kreißsäle niederlegen, in denen ihnen Gewalt widerfahren ist.

Ein Einwand wird dabei besonders häufig formuliert: Müssten die Rosen nicht eigentlich vor den Türen jener Politiker, Holdinggesellschaften und Lobbyisten liegen, die dafür verantwortlich sind, dass die Geburtshilfe in Deutschland chronisch unterfinanziert ist so dass Hebammen und Ärzte tagtäglich den Mangel verwalten? Ist es nicht gemein, stattdessen die armen Menschen anzugreifen, die im Kreißsaal unter miesen Arbeitsbedingungen tagtäglich ihr Bestes geben und die es sicher traurig macht, nach einem harten Arbeitstag abends über einen Berg von Rosen und vorwurfsvoller Briefe zu steigen?

Meine Antwort: Ich finde es sehr wichtig, sich für eine gute Geburtshilfe einzusetzen, und mache mich deshalb seit langer Zeit öffentlich für den Erhalt der Wahlfreiheit in der Geburtshilfe und bessere Arbeitsbedingungen insbesondere für Hebammen stark. Aus meiner Sicht sollte jede gebärende Frau ein Anrecht auf Eins-zu-Eins-Betreuung unter der Geburt haben, sowie garantierte Hebammenbegleitung während Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett. Und natürlich hat die strukturelle Vernachlässigung der Geburtshilfe einen starken Einfluss auf die Arbeitsweise der Menschen, die uns bei den Geburten unserer Kinder begleiten. Deshalb ist es richtig und wichtig, das Gewalt in der Geburtshilfe nicht nur auf individueller Ebene zu thematisieren, sondern auch politischer Ebene. Deshalb unterstütze ich ausdrücklich die Anregung des Roses Revolution Team, am 25. November auch an Politiker, Versicherungen und Klinikchefs heranzutreten und sie an ihre Verantwortung für eine menschenwürdige Geburtshilfe zu erinnern.

Gleichzeitig finde ich es jedoch wichtig, ganz klar zu sagen: Die Gewalt in der Geburtshilfe, die wir am 25. November anprangern, hat mit normalem Verhalten ehrlich bemühter, zugewandter Geburtshelfer, die einfach immens unter Druck stehen, nichts zu tun. Hier werden vielmehr Missstände öffentlich, für die kein noch so schlechter Personalschlüssel in Kliniken eine Entschuldigung sein kann.

Wenn Frauen unter der Geburt

angebrüllt
erniedrigt
gegen ihren Willen festgehalten
grob angefasst
verspottet
emotional erpresst
gedemütigt

werden, dann ist das Gewalt, die angeprangert werden muss – und zwar an dem Ort, an dem sie geschehen ist, und den Menschen gegenüber, die dafür verantwortlich sind.

Alle anderen – die große Mehrheit der Hebammen und Ärzte, die jeden Tag aufs Neue unter widrigen Bedingungen menschenwürdige, zugewandte, respektvolle Geburtshilfe leisten – müssen sich von den Rosen und Briefen überhaupt nicht angesprochen fühlen.

Sie können sich aber mit den betroffenen Müttern solidarisieren und ihren Kolleginnen und Kollegen gegenüber Stellung beziehen.

Every woman is a Rose.

Leipzig, im November 2017

Nora Imlau