An dem Morgen, an dem ich sie zum Interview treffen sollte, brachte ich vor Aufregung keinen Bissen herunter. Doch Erika Hoffmann und ihre Tochter Tina Hoffmann erwiesen sich als die perfekten Gastgeberinnen und beruhigten meine Nerven und meinen Magen im Didymos-Firmensitz im schwäbischen Ludwigsburg – mit schwäbischen Butterbrezeln. Dann fing Erika Hoffmann an zu erzählen: Von ihrem Alltag als junge Mutter, in dem sich ein mittelamerikanisches Tragetuch nach der Geburt ihrer Zwillinge zunächst ihre Rettung im Familientrubel erwies – und dann den Ausschlag zu einer genialen Geschäftsidee gab. Denn Erika Hoffmann verkörperte wie niemand sonst die unverhoffte Leichtigkeit, die das Tragen mit sich bringen kann: „Es war einfach praktisch und fühlte sich gut an“, sagte sie zu mir, und lächelte das Lächeln einer Frau, die niemandem mehr etwas beweisen muss. Wer schon einmal sein Baby in einem Didymos-Tuch getragen hat, weiß, wovon sie spricht. Und wer nicht? Nun, der weiß es eben nicht.
Wie offen sie war, wir herzlich und gleichzeitig bescheiden! Dass der mitgereiste Fotograf sich nicht mit einem Portrait zufrieden gab, sondern mehrere Aufnahmen machen wollte, strapaziuerte ihre Geduld – es sollte hier doch nicht um sie gehen, sondern vor allem ums Tragen! Sorgfältig hatte sie in dicken Kladden dokumentiert, wie die Geschichte ihres Unternehmens ihren Anfang nahm: Mit einem Stern-Artikel, der eine wahre Flut an Tragetuch-Bestellungen bei ihr eingehen ließ. Mit Unbedenklichkeitserscheinungen von Neurologen und Kinderärzten: Nein, das Tragen im Tragetuch sei nicht gefährlich, sondern im Gegenteil gesund und natürlich für Eltern und Kind. Trotzdem gab es von Anfang an auch Kritiker: Eine Kinderärztin schrieb ihr, mit ihre Tragetüchern hielte in Deutschlands Familien wieder die Unkultur des Verwöhnens Einzug. Ob sie sich dessen eigentlich bewusst sei?
„Die Menschen müssen ihre Meinung haben dürfen“, sagte Erika Hoffmann dazu und lächelte wieder ihr weises, erfahrenes Lächeln: „Ich habe ja auch immer die meine vertreten.“
Das hat sie getan – auf respektvolle, unaufdringliche und doch so klare Weise. Tausende Briefe gingen jedes Jahr in der Firmenzentrale von Didymos ein, jeder wurde beantwortet. Die Menschen riefen nicht nur mit Fragen zum Tragen an, sondern auch zum Schlafen, zum Stillen, zur Erziehung. Erika Hoffmann sagt, dass sie immer dazu geraten habe, liebevoll zu sein – mit den Kindern, aber auch mit sich selbst. „So ein kleines Baby schreien zu lassen, ist doch einfach schrecklich. Dazu sollte sich keine Mutter überreden lassen.“ Auch dieses Zitat findet sich in meinen Notizen aus diesem Gespräch. Es war, als träfe ich eine Seelenverwandte. Und eine moderne noch dazu: „Verfolgen Sie eigentlich auch die hitzigen Tragediskussionen bei den Rabeneltern und im „Stillen und Tragen“-Forum?“, fragte sie mich unverhofft, als wir über die Trage-Unsicherheit junger Eltern sprachen. Ihr sei es ja immer wichtig gewesen, das Tragen nicht zu einer Wissenschaft zu machen – „viel verkehrt machen kann man dabei doch eigentlich nicht.“
Nur wenn ihr in der Ludwigsburger Innenstadt frisch gebackene Eltern mit Babys in nach vorn gerichteter Trageposition auffielen, könne sie sich manchmal nicht zurückhalten: „Dann gehe ich zu ihnen hin und sage ihnen freundlich, dass sich die meisten Baby lieber ankuscheln wollen.“ Und dann? „Können sie entweder darüber nachdenken – oder den Kopf schütteln über diese wundersame alte Dame.“
Am 15. Februar ist Erika Hoffmann gestorben. Sie hat ein wunderbares Erbe hinterlassen – und eine Lücke, die sich niemals schließen wird. Mein vollstes Mitgefühl gilt ihrem Mann, ihren Kindern, Schwiegerkindern und Enkeln, außerdem den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Firma Didymos sowie all ihren Freunden und Verwandten.
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