Liebe Frau Schwesig,

meine Tochter Linnea ist gerade sieben Jahre alt geworden. Aus der Zeitung weiß ich, dass Ihr Sohn in etwa gleich alt ist wie sie. Und das heißt, dass Sie vor einigen Jahren genau vor denselben Fragen standen wie ich: Wie kann ich sichergehen, dass es meinem Baby im Bauch gut geht? Brauche ich eigentlich einen Geburtsvorbereitungskurs? Und: Wo will ich mein Kind zur Welt bringen? Wie Sie sich in all diesen Punkten entschieden haben, weiß ich nicht, und es geht mich auch nichts an.

Aber ich weiß: Sie und ich, wir hatten damals die Wahl. Denn als wir schwanger waren, gab es noch Haftpflichtversicherungen, die die Arbeit freiberuflicher Hebammen zu einem vernünftigen Preis versicherten. Und so konnten wir Mütter uns damals frei entscheiden, ob wir zur Schwangerschaftsvorsorge zu unserer Frauenärztin oder zu unserer Hebamme oder zu beiden im Wechsel gehen wollten. Zur Geburt hatten wir die Wahl zwischen einer Klinikentbindung mit oder ohne Beleghebamme, einer Geburtshaus- und einer Hausgeburt. Im Wochenbett kam dann in jedem Fall unsere Nachsorgehebamme vorbei, sah nach, ob sich das Baby gut entwickelte und ob unsere Geburtsverletzungen gut heilten. Sie half uns bei den ersten Stillversuchen, hatte beruhigenden Antworten auf unsere vielen besorgten Fragen und sprach uns Mut zu, wenn uns in den ersten Wochen als junge Familie alles über den Kopf zu wachsen schien. Später konnten wir dann zur Rückbildungsgymnastik und zur Babymassage in ihre Hebammenpraxis kommen, uns untereinander austauschen und ihr unser Herz ausschütten. Und wenn wir viel später nochmal eine Frage hatten, etwa zum Stillen oder zum Beikoststart, war ihr guter Rat immer nur einen Telefonanruf von uns entfernt.

Bereits heute ist dieses einst so dicht gespannte Netz der Hebammenhilfe bei uns in Deutschland dünn und brüchig geworden. Aufgrund der extrem angestiegenen Haftpflichtprämien mussten in den vergangenen Jahren immer mehr Hebammenpraxen und Geburtshäuser schließen. Viele freiberufliche Hebammen konnten sich nur noch über Wasser halten, indem sie aus ihrem Kerngeschäft, der Geburtshilfe, ausstiegen, und nur noch Vor- und Nachsorgeleistungen anboten. Doch seit wenigen Tagen ist nicht mehr nur die außerklinische Geburtshilfe in Deutschland vom Aussterben bedroht, sondern die gesamte freiberufliche Hebammenhilfe.

Mit der Ankündigung der Nürnberger Versicherung, zum 1. Juli 2015 aus den beiden letzten verbliebenen Versicherungskonsortien für Hebammen auszusteigen, ist klar: Wenn jetzt nichts passiert, wird es ab Mitte des nächsten Jahres in Deutschland keine freiberuflichen Hebammen mehr geben. Und das heißt: Wenn nicht sehr schnell auf politischer Ebene Anstrengungen unternommen werden, um die Hebammenhilfe in Deutschland zu retten, werden Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett in Zukunft entschieden anders aussehen als bisher. Und zwar nicht nur für jene Frauen, die ihre Babys nicht im Krankenhaus zur Welt bringen wollen. Sondern für alle, die jemals hierzulande noch ein Kind kriegen werden.

Die Hebammenvorsorge in der Schwangerschaft wird dann ebenso verschwinden wie die Möglichkeit, zur Geburt in der Klinik die eigene vertraute Hebamme mitzubringen. Die Wochenbettnachsorge fällt ebenso weg wie Rückbildungsgymnastik. Vor allem aber verschwindet durch diese Entwicklung die Freiheit jeder einzelnen Frau, selbst zu entscheiden wie und wo sie ihr ihr Kind im Leben begrüßen will.

Dass das ein unermesslicher Verlust wäre, zeigt der Blick in andere Länder. In den USA etwa, in denen bei Geburten längst keine Hebammen mehr anwesend sein müssen, findet kaum noch eine Geburt ohne massive medizinische Intervention statt. Außerklinische Geburten sind in einigen Bundesstaaten sogar verboten, während die Kaiserschnittraten exorbitant ansteigen. Und: Sowohl die Säuglings- als auch die Müttersterblichkeit ist signifikant höher als bei uns in Deutschland, wo zu jeder Geburt eine Hebamme hinzugezogen werden muss.

Ich möchte Sie deshalb in Ihrem Amt als Familienministerin, vor allem aber von Mutter zu Mutter bitten: Setzen Sie sich mit Elan und Entschiedenheit für den Erhalt der freiberuflichen Hebammenhilfe in Deutschland ein! Denn wenn unsere Kinder uns irgendwann einmal zu Großmüttern machen, sollen sie dabei in den Genuss derselben Wahlfreiheit und derselben Möglichkeiten der feinfühligen, fachkundigen Hebammenbegleitung durch Schwangerschaft, Geburt und das erste Jahr mit Baby kommen wie wir – finden Sie nicht?

Herzlichst

Ihre

Nora Imlau