Kein Baby-Ratgeber kommt ohne ein ausführliches Kapitel zum Thema Milch aus. Meist ist es fein säuberlich in zwei Teile geteilt: Im einen geht’s ums Stillen, im anderen ums Fläschchen-Geben. Und dass sich keine Mutter auf den Schlips getreten fühlt, veranstalten die meisten Autoren einen ziemlichen Eiertanz:
Irgendwie ist Muttermilch natürlich das Allerbeste fürs Baby und quasi unersetzlich, andererseits soll sich bloß keine Frau schlecht fühlen, die nicht stillt – mit der Flasche werden Babys schließlich genauso groß. Wer versucht, das logisch nachzuvollziehen, kriegt einen Knoten im Kopf: Wie kann etwas gleichzeitig besser und dennoch irgendwie gleich gut sein?
Wie kriegt man das hin: Übers Stillen schreiben, ohne dass nicht stillende Mütter sich als Versagerinnen fühlen?
Doch jetzt, wo ich selbst mein Milch-Kapitel schreibe, merke ich: Es ist total schwer, aus diesem Muster auszubrechen. Weil ich bei den Fakten bleiben will und trotzdem niemanden verletzen – erst recht nicht Mütter, die gerne gestillt hätten und aus welchen widrigen Umständen auch immer heute Fläschchen geben.
Ich habe deshalb mal was ausprobiert. Und mein Kapitel nicht mit der klassischen Einteilung nach Still-/und Flaschenbabys begonnen, sondern erstmal darüber geschrieben, was sie gemeinsam haben: Dass sie Milch zum Wachsen brauchen. Dass Zeit zum Trinken für sie immer auch Zeit zum Nähetanken ist. Und dass es jedem Baby gut geht, wenn es seine Milch nicht nach einem starren Zeitplan, sondern immer dann bekommt, wenn es Hunger hat. Dabei habe ich konsequent die Unterscheidung in Muttermilch oder Kunstmilch vermieden und einfach nur über Milch geschrieben.
Es geht nicht um Muttermilch. Es geht nicht um Pre-Milch. Es geht einfach um: Milch. Und um Nähe. Denn das ist das Wichtigste.
Lest es Euch meinen Kapiteleinstieg mal durch: Habt Ihr das Gefühl, dadurch werden tatsächlich erstmal alle Eltern angesprochen – egal, welche Milch ihr Baby bekommt? Oder wirkt es auf Euch künstlich, die Begriffe „stillen“ so wie „Fläschchen geben“ erstmal komplett zu vermeiden, um alle ins Boot zu holen?
2. Kapitel: Erstmal gibt’s Milch
Im Mutterleib kennen Babys keinen Hunger. Über die Nabelschnur bekommen sie kontinuierlich alles, was sie zum Wachsen brauchen. Da muss es ganz schön unheimlich sein, nach der Geburt zum ersten dieses Grummeln im Bauch zu spüren und nicht zu wissen: Was ist das? Gut, wenn dann gleich die erste Milchmahlzeit kommt, die warm und lecker Hunger und Durst auf einmal stillt – und das Bedürfnis nach Nähe gleich mit. Denn Milch-Zeit ist immer auch Kuschel-Zeit.
Wie oft braucht ein Baby Milch?
Früher riet man jungen Müttern, ihre Babys alle vier Stunden Milch trinken zu lassen. So würden sie am besten gedeihen. Heute ist bewiesen: Wie viel Milch ein Baby braucht, spürt es am besten selbst. Und gibt dann Zeichen: Schmatzt leise, saugt alles an was ihm vor den Mund kommt, wendet suchend den Kopf hin und her. Dann fängt es an zu schreien.
Studien belegen: Bekommen Babys ihre Milch „nach Bedarf“, also immer wenn sie danach verlangen, gedeihen sie besser und schreien weniger als Babys, die nach Zeitplan gefüttert werden.
Milch nach Bedarf – So geht’s konkret:
- – Muttermilch sowie Pre-Nahrung können problemlos nach Bedarf gegeben werden. Der Grund: Sie sind so zusammengesetzt, dass ein Baby damit nicht überfüttert werden kann – egal, wie viel es trinkt. Alle anderen Pulvermilchen (1er-, 2er und 3er-Milch) sind mit zusätzlichen Kohlenhydraten und Zuckern versetzt, dadurch kalorienreicher und deshalb fürs Füttern nach Bedarf ungeeignet.
- – Einem Baby nach Bedarf Milch zu geben heißt nicht, dass es jedes Mal Milch bekommen muss, wenn es schreit. Babyweinen kann viele Gründe haben (s.S.XX), und wenn die letzte Milchmahlzeit noch nicht lang zurückliegt kann es gut sein dass etwa Herumtragen besser hilft.
- – Es ist völlig normal, dass es im Alltag zu Situationen kommt, in denen ein Baby nicht sofort seine Milch bekommen kann. Eltern müssen sich deshalb keine Sorgen machen: Weiß ein Baby, dass sein Hunger normalerweise prompt gestillt wird, kann es auch mal eine kurze Wartezeit wegstecken.
Ich bin gespannt auf Eure Rückmeldungen!
4 Comments on "Jetzt geht's um die Milch"
elena
18/07/2011ich finde den "neutralen" einstieg sehr gut gelungen und ganz wichtig. mit dem füttern nach bedarf und als gleichzeitiges nähetanken fürs kind hast du das allerwichtigste fürs kind nach vorne gestellt.
ich bin sehr gespannt, wie du stillen/ fläschchen/ zwiemilch im weiteren erklärst! den grabenkrieg ums stillen/ nichtstillen finde ich schrecklich, hatte da aber als stillende selbst ganz heftige gefühle bis zum mitleid mit nichtgestillten kindern und mußte mir oft auf die zunge beissen. erst mit mehr abstand und informationen ging das weg.
es wäre schön, wenn du da irgendwie einen für beide seiten versöhnlichen ansatz finden könntest.
(wann ist eigentlich die veröffentlichung (vorbestellung möglich? ich bräuchte das buch ganz dringend spätestens im januar als geschenk)
Nora Imlau
19/07/2011Hallo elena,
ich freue mich, dass Dir der Einstieg so gefällt, ich komme langsam immer mehr zu der Überzeugung, dass ich ihn so lassen werde.
Der feinfühlige Umgang mit dem Still-/Flaschen-Thema liegt mir wirklich sehr am Herzen, und ich versuche in meinem Buch da ganz unideologisch ranzugehen und in beide Richtungen für Verständnis zu werben. Dabei muss ich immer auch wieder meine eigenen Gefühle diesbezüglich kritisch reflektieren, denn auch ich kenne das, dass einem so ein zwuckeliges kleines Baby, das die Flasche kriegt, als eingefleischte Stillmutter fast leid tut ... damit muss ich dann einen professionellen Umgang finden, um meinem eigenen Anspruch gerecht zu werden.
Das Buch erscheint leider erst im nächsten Frühjahr - bis Januar wird das also leider nichts :(. Aber vielleicht kannst Du ja einen Gutschein verschenken oder das fertige Buch so schnell wie möglich nachreichen?
Sobald ich weiß, wann und wo man "Crashkurs Baby" vorbestellen kann, werde ich das hier kund tun.
Liebe Grüße
Nora
Kate
18/07/2011"Einem Baby nach Bedarf Milch zu geben heißt nicht, dass es jedes Mal Milch bekommen muss, wenn es schreit. Babyweinen kann viele Gründe haben (s.S.XX), und wenn die letzte Milchmahlzeit noch nicht lang zurückliegt kann es gut sein dass etwa Herumtragen besser hilft."
Zu diesem Absatz fände ich es hilfreich, wenn du tortzdem noch im Nebensatz erwähnst, dass es durchaus sein kann, dass ein Baby nach 15 Minuten wieder Hunger haben kann.
Zwar habe ich nie was von künstlichen Stillabständen gehalten, mit der veralteten 4h-Regelung im Hinterkopf habe ich aber oft gedacht: "Es KANN nicht sein, dass er wieder Stillen will" und hatte dann dennoch Angst ihn zu überfüttern.
Den Verweis auf den "Warum Babys schreien"-Teil finde ich an dieser Stelle sehr gut angebracht. Da kann man dann gleich nachschlagen, wenn das Kind nicht stillen will und man verzweifelt ist, warum es immer noch schreit.
Übrigens finde ich auch den Einstieg mit "Milch" super gut gelungen. Vor allem auch, weil Flasche geben genauso mit Nähe verbunden wird (was ja sonst oft gerade als das Unterscheidende gesehen wird)
Nora Imlau
19/07/2011Hallo Kate,
ich gehe an anderer Stelle im Stillkapitel explizit auf Clusterfeeding ein, ebenso wie darauf, dass es keinen Mindestabstand zwischen Stillmahlzeiten gibt.
Im Schrei-Kapitel steht außerdem, dass Stillen nicht nur bei Hunger eine gute und angemessene Reaktion sein kann, sondern auch zum Beispiel bei Schmerzen, bei Müdigkeit als Einschlafhilfe und allgemein zum Kuscheln und Trösten. Die Message ist, dass man mit Stillen eigentlich nie was falsch machen kann - aber dass man nicht jedes Mal das Baby als erstes an die Brust legen muss, wenn es weint (was sich viele unter "Stillen nach Bedarf" vorstellen und sich deswegen dagegen entscheiden!).
Danke für die Rückmeldung zu dem "Milch"-Start, ich denke, dann lasse ich es wirklich so.
Liebe Grüße
Nora