Ich habe meiner kleinen Tochter einen Brief geschrieben. Zur Erinnerung an das unglaubliche zweite Jahr.
Brief von Nora Imlau an Annika, 15 Monate
Meine liebe kleine Annika,
seit letzten Sonntag ist es nicht mehr zu leugnen: Du bist kein Baby mehr. Ich weiß, offiziell gilt das schon ein bisschen länger, seit Deinem ersten Geburtstag. Aber nun ist es wirklich nicht mehr zu übersehen: Du läufst, tapsig und stolz, durch die Wohnung. Du sagst „Hallo!“ und „Mama“ und „Papa“ und „Danke“. Wenn ich Dich bitte, einen Löffel zu holen, steuerst du zielstrebig die Schublade mit dem Plastikbesteck an. Und wenn Du nicht an die Steckdose darfst, kriegst Du einen Wutanfall, der sich gewaschen hat: Mit Auf-den-Boden-Werfen, Fäustetrommeln und allem drum und dran. Du bist ein Kind mit eigenem Kopf und eigenem Willen.
Es gibt mehr Auseinandersetzungen – und unglaubliche Glücksmomente
Das ist fantastisch, natürlich, aber es macht mich auch ein bisschen wehmütig. Weil ich weiß: Jetzt ist die Zeit der reinen Babyharmonie vorbei. Wo zwei Charakterköpfe aufeinanderprallen – und glaub mir, mein Dickkopf ist auch nicht ohne! – gibt’s auch mal Kämpfe und Konflikte. Wenn ich es eilig habe und Du an jedem Gullydeckel stehen bleiben willst. Wenn ich finde, dass Schlafenszeit ist, und Du nicht. Oder wenn ich mit meinen spießigen Vorstellungen davon, dass Cremetuben nicht auf dem Badfußboden ausgedrückt und Oberhemden nicht ins Klo gestopft gehören, Deinen Entdeckerdrang ausbremse. Da sehne ich mich manchmal ins erste Lebensjahr zurück. Da waren Deine Bedürfnisse bescheidener: Du wolltest trinken und schlafen und Dich ins Tragetuch kuscheln. Konnte ich Dir alles problemlos erfüllen. Jetzt ist das mit der Wunscherfüllung nicht mehr so einfach. Du willst beim Kuchenbacken den Mixer halten und Dir selbst Tee einschenken. Kann ich, darf ich Dich das machen lassen?
Immer wieder muss ich neu abwägen, und oft auch Nein sagen und aushalten, dass ich Dich ebenso in Rage bringe wie Dein Teddy, der einfach zu dick ist, um durch die Stäbe Deines Gitterbetts durchzupassen. Du probierst es trotzdem immer wieder. Und bist sauer, wenn es nicht klappt. Dass etwas auf der Welt nicht so funktioniert, wie du es haben willst, erlebst Du als Kränkung Deines Ichs, habe ich in einem schlauen Buch gelesen. Stimmt das? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur: Unser Alltag ist komplizierter geworden. Es gibt mehr Auseinandersetzungen, mehr Tränen als im letzten Babyjahr. Aber eben auch: Unglaubliche Glücksmomente. Deine riesige Freude, wenn Du etwas Neues kannst: Die Ringe allein auf den Stapelturm sortieren, alle vier Treppen zu unserer Wohnung alleine hochsteigen, bei „Backe, backe Kuchen“ im Takt mitklatschen. Du bist dann so stolz auf Dich, und ich bin es natürlich auch.
Deshalb, mein kleiner Schatz: Lass Dich von einer nostalgischen Träne im Augenwinkel Deiner Mama nicht aufhalten. Werde mit Riesenschritten groß, wie Du es gerade tust, ja? Dein Papa und ich werden Dich dabei begleiten, so gut wir können. Ich freu mich schon darauf.
Deine Mama
2 Comments on "Nicht mehr klein – aber noch nicht groß"
Ulli
25/05/2011Ist der teddy zu dick oder der Panther?
Nora Imlau
26/05/2011Dieses Detail wurde aus datenschutzrechtlichen Gründen verändert ;).